Buchcover
Elfriede Gerstl

Tandlerfundstücke

Werke Band 4
2015
gebunden mit Lesebändchen , 15 x 21 cm
368 Seiten
Mit Fotos und Faksimiles
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Christa Gürtler und Martin Wedl in Zusammenarbeit mit dem Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek.
ISBN: 9783854209676
€ 29,00

AUTOREN

HERAUSGEBER

  • Christa Gürtler
  • Martin Wedl

Textauszug

Unschuld im Puff

Die Autoren hassen sich, einander und den Betrieb, der die meisten von ihnen marginalisiert. Jede Literatengruppe eine Klagegemeinschaft. Denn soviel steht fest: Literatur hat – jenseits ihrer Qualität – nur für wenige Leser Gebrauchswert. Die Beachtung seitens des Betriebs wird von den frustrierten, gereizten, bis zur Paranoia hellhörigen Autoren ersehnt und verflucht. Neu ist die bei Interviews, zu denen ja erst die Bekannteren gebeten werden, zur Schau gestellte Abscheu vor Interviews – es ist ähnlich komisch wie in einer erotischen Situation, sozusagen beim Schmusen innezuhalten und lauthals zu klagen, daß man einer Verführung erlegen ist. Interviews sind meist unangenehm und geraten so gut oder so schlecht, wie der Interviewer zu fragen versteht. Auf blöde Fragen kann man nicht gescheit antworten, man muß sie umformulieren, zurecht-
rücken oder zurückweisen. Es sind auch Situationen der Zudringlichkeit, in denen man sich einem nicht immer angenehmen Menschen öffnen soll; wie im Puff, mit dem allein der Betrieb verglichen werden kann, soll man mit jedem Freier gleich gut können. Freilich steht es unsereinem frei, sich fernzuhalten, wenn nicht, muß man dulden, von den Damen und Herren Multiplikatoren einer puffmäßig strukturierten Öffentlichkeit an den Arsch gefaßt zu werden. Beides zugleich ist nicht zu haben: im Puff notieren UND unberührt (unbelästigt) bleiben. Die bekanntesten Autorinnen/Autoren, und das ist noch der glücklichste Fall, können die ihnen ekelhaftesten Freier abwimmeln, was in der Praxis selten geschieht, weil sie sich ihren Verlegern sprich Puffmüttern/vätern verpflichtet glauben. Der schlimmste Skandal, finde ich, ist die Tatsache, daß es zu einem Gewohnheitsrecht geworden ist, daß Autorinnen/Autoren sich auch noch GRATIS benutzen lassen und damit in ihrer Ausbeutbarkeit noch unter jeder Nutte und jedem Stricher rangieren. Die Alternative heißt: Verweigerung oder vorher Preis aushandeln.

(1993)

Der vierte Band der fünfbändigen Werkausgabe Elfriede Gerstls (1932–2009) umfasst das nach ihrem Tod 2009 erschienene Buch Lebenszeichen. Gedichte Träume Denkkrümel mit Illustrationen von Heinrich Heuer, Angelika Kaufmann und Herbert J. Wimmer und einem Nachwort von Elfriede Jelinek, sowie die verstreut publizierten Texte aus den Jahren 1955–2012.

Es gibt einige Überraschungen im hier erstmals vollständig nachzulesenden Frühwerk von Elfriede Gerstl entdecken. In den Gedichten und der Kurzprosa, die vor allem in den Zeitschriften ›Neue Wege‹ und ›Das jüdische Echo‹ erschienen sind, begegnen wir einer jungen Frau, die im Nachkriegsösterreich auf der Suche nach ihrer eigenen literarischen Stimme ist. Die Themen ihrer Texte sind vielfältig und reichen von heiter-skurrilen Alltagsgeschichten über religiös-mystische Allegorien bis zu Bedrohungsszenarien des Kalten Kriegs und autobiographischen Texten zum Holocaust.

In den ersten Jahrzehnten ihrer Laufbahn als Schriftstellerin arbeitete sie auch als Kritikerin, die dann ab den 1970er Jahren in Essays die gesellschaftlichen Untiefen des Kulturbetriebs und der Frauenbewegung ironisch sezierte. Ihre luziden Texte zu befreundeten AutorInnen und bildenden Künstlerinnen, u.a. zu Elfriede Jelinek, Ernst Jandl, Angelika Kaufmann oder Friederike Mayröcker, zeigen Gerstl zudem als präzise Leserin und Interpretin.

Presse

»Obwohl ich die meisten Sachen ja kannte, ist es plötzlich völlig neu und geradezu aufregend für mich, das zu lesen.« (Elfriede Jelinek in NEWS)

Gerstls »literarische Hinterlassenschaften sind (selbst-)ironische, illusionslose, schmerzhafte Vorstöße in die allertiefsten Tiefen menschlicher Existenz.« (Andrea Schurian, Der Standard)

»Die fast zierlichen Texte Gerstls mieden Grobes, doch nicht aus einem Sich-Kleinmachen, sondern um Schärfe zu wahren, pointiert – auf den Punkt – zu treffen.« (Martin A. Hainz, Fixpoetry)

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