Buchcover
Franz Kaltenbeck

Reinhard Priessnitz. Der stille Rebell

Aufsätze zu seinem Werk
2006
kartoniert , 11,5 x 18 cm
144 Seiten
ESSAY 56
ISBN: 9783854207047
€ 14,00

AUTOREN

  • Franz Kaltenbeck

BUCH ÜBER

Textauszug

Priessnitz war nicht der Mann, der sich einem leicht anvertraute, selbst dann nicht, wenn es ihm schlecht ging. Seine hohe Diskretion und Bescheidenheit sind ohne Zweifel ein Hindernis für jede Biographik. Er schrieb keine Tagebücher, höchstens Notizen. Nur eine Sprache, die er neu binden oder, im Gegenteil, zerlegen konnte, wollte er sprechen. Er sagte seine Wahrheit als Parabeln oder in der Form von Witzen. Er hatte viele Züge eines fahrenden Sängers, Talmudisten, eines Erzählers, die Züge eines Sokrates in Wien, alles Eigenschaften, um die ihn die besten Psychoanalytiker beneiden könnten. Wenn er mir etwas eingestand, so war es sein Unbehagen über das, was man im marxistischen Jargon damals die Produktionsverhältnisse nannte. Bedrückend für einen Dichter wie ihn! Er beklagte sich nur über die Dummheit der österreichischen Zustände.

Von den Figuren der Wiener Cafés, in denen wir alle damals mehr oder weniger lebten, hob sich Priessnitz ab, als käme er von ganz woanders her, auch aus einer anderen Zeit. Obwohl Wien in den 60er Jahren eine eher traurige Stadt war, lebten dort schöpferische Menschen, deren Weltrang heute anerkannt ist. Jeder von ihnen hatte einen besonderen Charakter, seine Launen und Gewohnheiten, manche waren starke Persönlichkeiten. Priessnitz überraschte, ohne imponieren zu wollen. Er strahlte eine viel geheimnisvollere Wirkung aus als das, was man gemeinhin Eindruck nennt. Er gewann jeden mit seinem unbezwingbaren Charme, den er mit kompromissloser Ehrlichkeit zu vereinbaren wusste. Dabei war er durchaus diplomatisch und versuchte die unerbittlichsten Gegner miteinander zu versöhnen. Seine gewandte, nie instrumentalisierte Rede gab ihm im gesellschaftlichen Umgang hohe Sicherheit.

Reinhard Priessnitz (1945–1985) ist einer der verborgensten ›Klassiker der Moderne‹; so unterschiedliche Autoren wie Thomas Kling oder Franz Josef Czernin berufen sich auf ihn, ein wichtiger Literaturpreis ist nach ihm benannt – aber noch immer ist sein schmales Werk, vor allem die kanonische Lyriksammlung vierundvierzig gedichte, sein einziges Buch zu Lebzeiten, kaum bekannt.

Entsprechend schmal ist auch die Sekundärliteratur zu Priessnitz; bisher ist weder eine Biografie erschienen, noch kann von einer erschöpfenden Interpretation seiner Texte und seiner theoretischen Position gesprochen werden. Franz Kaltenbecks Essayband möchte hier Abhilfe schaffen: Kaltenbeck war während seiner Wiener Jahre (1965 bis 1976) ein enger Freund des Dichters und der ›Wiener Aktionisten‹, Priessnitz’ Gedicht »der blaue wunsch« ist ihm gewidmet.

Neben lebensgeschichtlichen Erinnerungen an Priessnitz enthält dieser Band gründliche Lesarten einiger seiner Gedichte, durchgeführt unter den Vorzeichen von Lacans Psychoanalyse und Sprachtheorie, Bemerkungen zur erotischen Topografie und zum ›Fleisch der Schrift‹ sowie zum Umgang mit der verdrängten jüngeren Geschichte in Priessnitz’ Werk.

Presse

»Dem ›stillen Rebell‹ der österreichischen Literatur widmet Kaltenbeck einen aus mehreren Annäherungen an Gedichte und einer biografischen Skizze bestehenden Essay – ein höchst erhellender Aufsatz.« (Paul Jandl, NZZ)

»Eine der zentralen Fragen, wie Ding, Sache und Wort in der Moderne und bei Priessnitz zusammenkommen, behandelt Kaltenbeck ausführlich und kenntnisreich. Kaltenbeck gelang mit seiner Hommage ein kleines Kunststück.« (Sigrid Gaisreiter, Park, Zeitschrift für neue Literatur)

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