Buchcover
Alfred Kolleritsch

Die grüne Seite

Roman
2001
gebunden , 13 x 21 cm
214 Seiten
ISBN: 9783854205661
€ 19,00

AUTOREN

Textauszug

»Komm, steh auf!« sagte der Vater, »ich möchte sehen, wie du aussiehst, wenn du stramm dastehst.« Gottfried stand langsam auf, ging zwei Schritte von der Bank weg und stellte sich hin, wie es der Vater wollte. »Halte den Kopf ruhig«, sagte der Vater, »wende den Kopf nach rechts und heb das Kinn, so ist es richtig. Bleib einige Zeit so. – Meinen Sie nicht, daß er so korrekt aussieht?« fragte der Vater den Fotografen. »Wenn Sie es so wollen, wird es schon richtig sein«, erwiderte der Fotograf, »aber wenn ich etwas sagen darf, beim Fotografieren wäre es doch besser, wenn er in die Linse schaute. Das gibt dem Körper eine Festigkeit, das kann ich Ihnen mit vielen Bildern beweisen. Wenn der Fotografierte einen anderen ansieht, habe ich immer das Gefühl, daß der Kopf nicht mehr ihm gehört, daß der Körper unsicher ist und die Arme nur Schaufeln sind, die an der Achsel lehnen.« – »Er hat es geübt, mir in die Augen zu schauen«, entgegnete der Vater, »die Linse ist nichts, ich will nicht, daß er ins Leere schaut, das tut er ohnehin, wenn ich ihn aus den Augen verliere.« – »Dann soll es sein, wie Sie es wollen«, sagte der Fotograf und steckte seinen Kopf unter das schwarze Tuch auf dem Apparat. »Geh jetzt hinter den Zaun«, forderte der Vater Gottfried auf, »roll die grüne Grasdecke zusammen und wirf sie in die Ecke.« Gottfried tat es und blieb in der Mitte der Einzäunung stehen. Der Fotograf kam wieder unter seinem Tuch hervor und nahm von einem Tisch eine blaue Kassette, die er in den Apparat steckte. »Es wird bald so weit sein«, sagte er, »dann hast du etwas für dein ganzes Leben, dein Bild.«

Die grüne Seite ist eine drei Generationen umspannenden Geschichte der Erziehung der Söhne durch die Väter, ein Entwicklungsroman, der die Sicherheiten und Eindeutigkeiten des Genres ad absurdum führt, ein Vaterroman, lange bevor die Abrechnung mit den Vätern in der Literatur Mode wurde, und eine Liebeserklärung an die südsteirische Landschaft.

Vor allem aber ist Die grüne Seite ein in der deutschsprachigen Literatur einzigartiger philosophischer Dialog-Roman, der in wunderbaren Details und Episoden die Verfestigung unserer Wahrnehmung und unseres Wissens zu Bildern und Ideologien beklagt.
Mit Die grüne Seite (1974 erstmals veröffentlicht) schrieb Kolleritsch eine gleichermaßen sinnlich-detailreiche wie abstrahierende Zusammenfassung österreichischen Provinzlebens im 20. Jahrhundert. Im Großvater, dem anarchischen Außenseiter des Dorfes, und in seinem Sohn Gottfried, der, um nicht wie sein Vater zu scheitern, ein Leben der erzwungenen Anpassung führt, schuf er eindrückliche Figuren im Kampf um »die grüne Seite« des Lebens.

Presse

»Die grüne Seite ist ein großer Roman, einer der identitätsstiftenden Vaterromane.« (Ludwig Harig in der Süddeutschen Zeitung)

Es gibt danach »kein vergleichbares Werk, das philosophische Reflexion so gekonnt mit dem Erzählen verknüpft, das eine Vater-Sohngeschichte in der Provinz, mit solch epischer Dichte und anspruchsvoller Gedanklichkeit darstellt.« (Tiroler Tageszeitung)

»Der Roman entwickelt eine eigenständige, seltsam surreale Welt und macht in seiner literarischen Souveränität die Sprache zum kritischen Medium gelungener Weltaneignung.« (Berliner Zeitung)

Die grüne Seite »entfaltet eine verzweifelte und zugleich radikale Gesellschaftskritik. Wir begegnen einer entschiedenen Abrechnung mit dem kleinbürgerlich-faschistoiden Milieu auf dem Lande, das messerscharf seziert wird.« (Listen)

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