Buchcover
Thomas Jonigk

Theater eins

2008
gebunden , 13 x 21 cm
288 Seiten
Mit einem Nachwort von Ute Nyssen
ISBN: 9783854207405
€ 24,00
als ebook erhältlich

AUTOREN

Textauszug

MUTTER (ihn unterbrechend zu Norma)
Ein Mann achtet nicht, wen er flachlegt! Der Feldzug seines Fleisches hatte ein anderes Endziel im Visier! Sie haben sich mit Waffengewalt willig unterwerfen lassen. Damit haben Sie ihn aufgewertet, aber in Verlierer verliebt man sich nicht!

NORMA
Er hat mich geliebt! Er hat mir soviel von sich erzählt!

MUTTER (vom Tisch steigend zu Norma tretend)
Damit er Ihnen nicht zuhören musste! Bilden Sie sich nicht ein, Sie hätten einem gebildeten Mann außer Ihrer Breitbeinigkeit etwas zu bieten.

NORMA (weinend)
Er hat mich geliebt!

MUTTER
Und warum hat er Sie verlassen? Was man liebt, legt man nicht ab.

SOHN
Mutter!

KANDIDATIN (Norma in den Arm nehmend)
Ich bin sicher, er hat dich lieb gehabt. Warum hast du bloß davon angefangen.

NORMA
Du kannst das doch überhaupt nicht nachfühlen in deiner beleibten Lebensform, in der du immer allein bleiben wirst.

KANDIDATIN
Ich will aber nicht allein sein.

NORMA
Du bist doch überhaupt keine Frau. Ich bin hier die einzige Frau im Haus.

MUTTER (zu Norma)
Es gibt zwei Frauen im Haus! Was bin denn ich, wenn nicht das. Sie sind wie immer nur die Zweitfrau neben der Herrin des Hauses!

KANDIDATIN
Es gibt drei Frauen!

SOHN (zur Kandidatin)
Mach dir nichts draus. Ich hab an dich gedacht.

NORMA (zur Mutter)
Fortpflanzung und Finanzen: Deshalb waren Sie für ihn vorhanden. In mir hat er die Frau gefunden, die Ihnen fehlt!

MUTTER
Aber ich habe es versucht!

NORMA
Mühe allein genügt eben nicht.

Dieser erste Band der gesammelten Theaterstücke Thomas Jonigks enthält die Stücke Von blutroten Sonnen, die am Himmelszelt sinken, Du sollst mir Enkel schenken, Rottweiler, Täter und das Libretto Heliogabal, geschrieben in den 90er-Jahren, uraufgeführt zwischen 1994 und 2003. Mit ihnen und ihrem Autor etablierte sich neben Werner Schwab und Elfriede Jelinek eine dritte, durch ihren unverwechselbaren Sprachstil erkennbare Stimme auf den deutschsprachigen Bühnen.

Jonigks Thema in den ersten Stücken ist die Familie als Tatort: sei es der sexuelle und emotionale Missbrauch an den Kindern (in Täter), sei es der Anpassungsdruck auf den schwulen Sohn (Du sollst mir Enkel schenken), sei es das Weiterleben faschistischer Rollenbilder (Rottweiler) – und das alles in einer Sprache von grotesker Komik, bei der einem allerdings öfter das Lachen im Hals steckenbleibt.

Jonigks Bühnenwerk, schreibt Ute Nyssen in ihrem fundierten Nachwort, »reflektiert die Tendenzen des derzeitigen Theaters – beispielsweise dessen extreme Angst vor starken Gefühlen oder gar Pathos, die Neigung zur Randgruppenperspektive –, ohne diesen Tendenzen einfach nachzugeben. Zumindest den moralischen Anspruch, der selbstverständlich von Emotionen untrennbar ist, auf der Bühne aber vorwiegend an die Darstellung von Einzelschicksalen gekoppelt war (von den Klassikern bis zu Koltès), diesen Anspruch versucht Jonigks Theater aus dem Fundus der großen dramatischen Tradition zu retten und dem heutigen Theater entgegenzusetzen. Mit der Genehmigung zum Lachen macht er das etwas leichter.«

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