Buchcover
Olga Martynova

Sogar Papageien überleben uns

Roman
2010
gebunden , 13 x 21 cm
208 Seiten
ISBN: 9783854207658
€ 19,00
als ebook erhältlich

AUTOREN

Textauszug

Ein älteres Paar, aus dem hiesigen Adel, er in grüner Tracht, sie in rosa Chanel, wollte ausführlichere Informationen zu den russischen Sprüchen haben. Sie waren auch vor drei Jahren in Petersburg (»So eine schöne Stadt!« – »Danke!« – Ich muss mir das endlich abgewöhnen: zu danken, wenn jemand St. Petersburg oder die russische Sprache schön findet) und wollten nun wissen, wie eine Stadt sich eine so prachtvolle Feier leisten kann, wenn es so viele ungelöste soziale Probleme gibt.
Da war Katharina bereits auf meiner Seite (ich meine auf der Petersburgs): »Menschen brauchen doch Feiern«, sagte sie. »Wenn in einer Bauernfamilie eine Tochter heiratet, machen sie ein Riesenfest, obwohl es wahrscheinlich klüger wäre, eine Kuh zu kaufen.« Die ländlichen Bilder in Katharinas Argumentation erstaunten mich, überzeugten das Paar aber völlig. Die Dame wollte mir noch etwas Nettes sagen und wiederholte, wie großartig sie Petersburg fand. Dann fand sie noch ein Kompliment: Ihre Putzfrau sei eine Russin, eine ausgesprochen fleißige Frau!

Marina stammt aus Petersburg und ist zu Besuch in Deutschland, wo sie bei einem Kongress über Daniil Charms und seinen Freundeskreis spricht. Außerdem ist da ein Mann, der als Russisch-Student in Leningrad lebte und mit dem sie damals, vor 20 Jahren, eine Liebesgeschichte lebte. Die Vergangenheit ist nicht vergangen – und das gilt nicht nur für diese private Geschichte: »Ich habe Angst vor den Geheimnissen der Zeit.« Ein ganzes Jahrhundert (und manchmal auch darüber hinaus) passiert in den Assoziationen Marinas Revue, und nirgendwo sonst ist dieses letzte Jahrhundert vielfältiger, durch gewaltige Brüche im Sozialsystem fragmentierter gewesen als in Russland: vom Zarenreich über die Revolution, die Sowjetunion, die Weltkriege, die Belagerung Leningrads durch die Deutschen, die Perestrojka …

Olga Martynova fächert in ihrem ersten (und auf Deutsch geschriebenen) Roman mit bezaubernder Leichtigkeit das Schwierigste vor uns auf: die vielen Seiten der Vergangenheit, den »Grünspan der Zeit«, dieses Gleiten von Positionen und Ansichten, das nur die Literatur vermitteln kann. Wir lesen nicht nur von den literarischen Avantgardisten rund um Charms und Vvedenskij, wir erfahren auch von Hippies und Landkommunen in Innerasien, von Autostop-Reisen nach Sibirien und vom buddhistischen Kloster mit dem unverweslichen Lama. Martynovas genauer Blick fördert aber auch überraschende Beobachtungen an ihrer deutschen Umgebung zutage, an diesem an deutsch-russischen Kulturverbindungen interessierten Publikum…

Sogar Papageien überleben uns ist ein berührender und überraschender Roman, der auf paradoxe Art ignoriert, was seine Protagonistin einmal fordert, »dass man in den Büchern besser nicht von den komplizierten Sachen schreibt«. Und was wäre komplizierter als das Wandern der Zeit in die Vergangenheit, als das assoziative Gewebe der Erinnerung, als die Arbeit der Dichter an unserer Erinnerung?

Presse

»Olga Martynova schafft in ihrem Roman eine besondere, dichte Atmosphäre. Sie zieht die Leser tief hinein ins Nachdenken über das Dichten, die Zeit und über die Liebe.« (Eva Pfister, Stuttgarter Zeitung)

»Die Autorin setzt jedes Wort überlegt – und findet poetische Ausdrucksformen, um Gegenwart, Vergangenheit, Erinnerungen und Träume ihrer Protagonisten einzukreisen.« (Beate Tröger, FAZ)

»Olga Martynovas Erstling ist ein anmutiges, geistreiches, elegantes Roman-Kaleidoskop und eine Huldigung an den Wandel der Zeiten, der nur in der Erinnerung festgehalten werden kann.« (Sigrid Löffler, Deutsche Welle)

»Ein klug komponiertes Buch über das vergangene russische 20. Jahrhundert, über das wechselvolle deutsch-russische Verhältnis mit elegant gesetzten Spitzen gegen deutsche Überheblichkeit.« (Katharina Narbutovic, WDR)

»Eine poetische Reflexion über die nicht vergehende Zeit – und die Geschichte eines Lebens, das vor den Umwälzungen und Katastrophen des 20. Jahrhunderts seinen Eigensinn behaupten muss.« (Ulrich Rüdenauer, Frankfurter Rundschau)

»Ein Stück Europageschichte, die in subjektiven, mal ironischen, mal komischen Szenen aufleuchtet.« (Ulrike Kolb, Saarländischer Rundfunk)

Olga Martynova »zeigt ein ungewöhnliches Sowjetrussland mit Leningrader Bohèmiens, mittelasiatischen Hippies und skurrilen Dichtern um Daniil Charms und Alexander Wwedenskij. (…) Scheinbar mühelos lässt sie in diesem ungewöhnlich schwebenden Buch die Zeit zum (Erzähl-)Raum werden.« (Jörg Plath, Deutschlandradio)

»Die Texte sind poetische Schrapnelle, abgefeuert, um sich im Hirn festzukrallen. Schließlich hat sich dieses Buch Großes vorgenommen. Und Olga Martynova ist dies beeindruckend gelungen.« (Christoph Keller, Die Zeit)

»Wir sind Zeitspeicher. Nicht nur unsere früheren Ichs sind in uns aufbewahrt. Auch die Vor- und Ur-Zeiten haben sich in uns abgelagert. Das ist vielleicht das zentrale Thema der Literatur, ganz gewiss aber jenes des Romans von Olga Martynova.« (Ulrich Rüdenauer, Badische Zeitung)

»Eine Wundertüte verspielter Einfälle und melancholischer Einsichten.« (Jan Koneffke, Die Presse)

»Martynova richtet eine Alchimistenküche ein, in der Zeit, dieses kostbare, flüchtige, immer schon verflossene Gut, wiederaufbereitet wird. … 88 Wege zur Überlistung von Zeit!« (Andreas Tretner, Leipziger Volkszeitung)

»Kaum eingetaucht entsteht ein historisch genauer Sound, der stalinistische Suhle, Post-Sowjetismus und Charme der russischen Absurditäts-Literatur zu einem Schaumbad der Lektüre verquirlt; pragmatisch schön und genau erzählt.« (Buchkultur)

»Dieser Roman ist ein furioser Ritt durch die Zeiten.« (Armin Friedl, Stuttgarter Zeitung)

LONGLIST DEUTSCHER BUCHPREIS 2010

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