Buchcover
Gwenaëlle Aubry

Niemand

Roman
2013
gebunden , 13 x 21 cm
152 Seiten
Aus dem Französischen von Dieter Hornig
ISBN: 9783854208433
€ 18,00
als ebook erhältlich

AUTOREN

Textauszug

Meine Schwester und ich sind auf beiden Seiten des Flusses aufgewachsen, zwischen dem Schatten und dem Licht, auf beiden Seiten der Welt, ihrer spiegelnden Oberfläche und ihren großen Tiefen, den vom Leben Verwöhnten und den vom Leben schwer Mitgenommenen, hin und her gerissen zwischen zwei Ufern, die sich allmählich voneinander entfernten, am Anfang war der Abstand nicht so groß, wir wechselten unschwer von einem zum andern über, im Sommer verließen wir Ende Juli immer die großen Häuser in der Provence, die pralle Sonne, die Feste und die Festivals und fuhren zu ihm in die Bretagne, wir wussten nicht, dass er damals den Juli in einem Sanatorium verbracht hatte, um wieder zu Kräften zu kommen für die Tage, die wir gemeinsam verbringen würden, bei unserer Ankunft hatte er große Pläne, wir würden segeln gehen Pfannkuchen machen Tennis spielen Rad fahren, aber es war zu hart für ihn, jeden Tag den Schein zu wahren, also verschwand er allmählich, schon am Morgen stieg er drei Stufen vom Salon hinunter in ein schlecht beleuchtetes Büro, das durch die Stoffbehänge, die zu vielen Möbel und die verstaubten Bücher noch düsterer wurde, er müsse arbeiten, sagte er, Vorlesungen vorbereiten, wir gingen mit meiner Großmutter zum Strand, während er seine Hefte vollschrieb und rauchte, wenn wir zurück waren, erzählten wir ihm von unserem Tag, vom Schwimmen im kalten Wasser, von unseren Sandburgen, wir wussten nichts von seinem Tag, auch wir wahrten den Schein –

Nach dem Tod ihres Vaters findet Gwenaëlle Aubry unter seinen Aufzeichnungen ein Manuskript mit dem Titel »Das melancholische schwarze Schaf« und dem Vermerk »à romancer, einen Roman daraus machen«. Sie beginnt daraufhin, ihre Erinnerungen an ihren Vater, in alphabetischer Reihenfolge von A wie Antonin Artaud bis Z wie Zelig aufzuschreiben, immer wieder erweitert um Notizen aus dem Manuskript ihres Vaters, der lange Jahre seines Lebens als manisch-depressiver Psychotiker in diversen psychiatrischen Kliniken verbracht hat.

Dieser, gewissermaßen, Dialog von Vater und Tochter enthüllt nicht nur die Leidensgeschichte des Vaters, sondern zeichnet ohne jede Sentimentalität und mit großer Einfühlungskraft eine ganze, prekäre Familiengeschichte nach: der Vater, selbst Sohn eines Arztes, ist Jurist an der Universität, seine Frau trennt sich bald von ihm und zieht mit den beiden Töchtern aus, sein Lebensweg schlingert zwischen seinen Vorlesungen, seinen Freundinnen und seinen häufigen Ausbrüchen in die andere, fremde Welt.

Aubry geht ihren Erinnerungen an ihre Kindheit, an die scheinheilige bürgerliche Welt der Großeltern nach und zeichnet dabei ein auch in seiner Sprache erstaunliches, berührendes Bild eines schwierigen Verhältnisses – und eines großen Verlustes: nicht nur eines verschwundenen Vaters, sondern eines abwesenden Ich, eines Ich, das sich im Lauf seiner Krankengeschichte in vielerlei Masken und personae wiederzufinden hofft.

Presse

»Ein diskreter, zutiefst anrührender Text (…) ein faszinierendes Stück Literatur.« (Niklas Bender, FAZ)

»Niemand ist ein so berührendes, ach was, erschütterndes wie literarisch ansprechendes Porträt des Vaters.« (Sebastian Fasthuber, Falter)

»Eine sehr schöne, poetische Sprache und starke Bilder, die noch lange nachwirken.« (Stefanie Lässer, SWR2 Die Buchkritik)

»Ein ungemein eindringliches Buch, das in Frankreich mit dem renommierten Prix femina ausgezeichnet wurde. Sie bringt dem Toten Liebe und Respekt entgegen.« (Rainer Moritz, Die Welt)

»Ein zweistimmiger Gesang, das Porträt von Vater und Tochter, das Buch einer Liebe. Die Huldigung eines Menschen, der nicht so sein durfte, wie Menschen gefälligst zu sein haben.« (Peter, Pisa, Kurier)

»Der Roman ist wie ein Gespräch zwischen Vater und Tochter, in einer einfühlsamen, klugen, berührenden, aber auch schonungslosen Offenheit.« (Inge Obermayer, Nürnberger Zeitung)

»Aus jeder Zeile des Buches sprechen Achtung und Liebe und der beständige Versuch zu verstehen, den Vater, die Krankheit, die Verhältnisse und sich selbst.« (Ruth Roebke, kommbuch.com)

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