Buchcover
Olga Martynova

Mörikes Schlüsselbein

Roman
2013
gebunden , 13 x 21
320 Seiten
ISBN: 9783854208419
€ 22,00
als ebook erhältlich

AUTOREN

Textauszug

Ein Austauschschüler aus Amerika, der vorhatte, creative writing zu studieren, hielt es für schick, mit der Hand auf Papier zu schreiben. Moritz hatte sich von dem knochigen Amerikaner mit kleinem blauem Hut auf einer unscharfen Menge eng geringelten Haars und mit verschiedengroßen Moleskin-Heftchen in der Hängetasche beeindrucken lassen: Obwohl ihm sein Vater ein iPad zum Geburtstag geschenkt hatte und ihn seitdem jedes Mal fragte, ob ihm das Ding gefalle, nahm er sein papierenes Notizbuch und schrieb sehr langsam, um die Notizen später entziffern zu können:

HÄTTE ADAM EVA GELIEBT, WÄRE NICHTS PASSIERT
Hätte Adam Eva geliebt, wäre nichts passiert. Aber Adam liebte Eva nicht. Sie war eine ihm vom Herrn gegebene Frau. So eine Frau, die alles mit einem teilt, die das Leben managt, sich kümmert. Eine Frau, die sagt: »Lass endlich mal dein Rad reparieren!« Man nimmt dann das Rad und bringt es in die Werkstatt. Oder sie sagt: »Du, nächste Woche hat Deine Kusine Anke Geburtstag. Wir müssen ihr einen Blumenstrauß schicken. Oder nein, eine Postkarte reicht, sie hat dir ja letztes Jahr auch nichts geschenkt. Schicken wir ihr eine Postkarte.« Man nickt, und die Sache ist erledigt.
Hätte Adam Eva geliebt, hätte er anders reagiert, als sie ihm sagte: »Schau, eine Frucht. Schmeckt auch. Koste mal, hat mir ein Kerl von nebenan gegeben.« Was tat Adam? Er kostete, klar, warum nicht. Er war nicht wählerisch und aß alles, was sie ihm auftischte.
Hätte Adam Eva geliebt, hätte er sich gefragt: »Von was für einem von nebenan bekommt meine Frau Geschenke?«
»Eva«, hätte er gesagt, »bring das Ding sofort zurück und sprich nie wieder mit dem Typen von nebenan.« »Mensch«, hätte Eva gesagt, »er ist so ein netter, ein Engel von einem Wurm!« »WURM?!«, hätte Adam gesagt. Und er hätte den Feind erkannt und erschlagen.

Mit einem Kapitel aus ihrem zweiten Roman gewann Olga Martynova im Juli 2012 den Ingeborg-Bachmann-Preis. So wie sie in diesem Preis-Kapitel mit leichtester Hand die Motive rund um den Protagonisten verwebt, bis daraus ein strahlendes Beispiel für die Souveränität der Literatur im (oder sogar über das) Leben entsteht, so bewegen sich die (scheinbaren) Gegensätze Literatur und Leben, Dichtung und Alltag, Geschichte und Gegenwart, Russland, Amerika und Deutschland, Traum und Realität auf beschwingteste Weise durch den ganzen Roman.

Marina und Andreas sind ein mehr oder weniger stabil verheiratetes russisch-deutsches Paar in den besten Jahren, in ihrem Freundeskreis Schriftsteller, Dichter, Künstler: der Sinologe Pawel kennt zwar nach wie vor hunderte von chinesischen Gedichten auswendig, vergisst aber, was vor einer Stunde war, der Ballerina Antonia sind die Menschen ausgegangen, denen sie von ihren Tourneen Geschenke mitbringen kann, und aus dem Russisch-Studenten John ist ein Agent geworden.

Und während der alte russische Dichter Fjodor stirbt, werden gerade wieder neue Künstler geboren: Andreas’ und Marinas Sohn Moritz wird zum Dichter, ihre Tochter Franziska zur Malerin. Mit feinstem Sinn für die Realität, einem offenen Blick für das Phantastische und dem für sie typischen Humor erzählt Olga Martynova von der Selbstfindung und der Situation des Künstlers in der Gegenwart – und verbindet das auch noch mit einem Schuss Agentenroman.

Ingeborg-Bachmann-Preis 2012

Presse

»So packend wie ein Roman, so verspielt wie ein Tagtraum, so klug wie eine Katze, so ernst wie der Tod und so zierlich wie ein Schlüsselbein.« (Stefan Kister, Stuttgarter Zeitung)

Ein Buch, das zeigt, »was Literatur kann: Komplex sein und dabei doch leicht, skurril, aber doch realistisch, voller Einfälle, die dem Leser Freude bereiten. Ein Lesevergnügen.« (Daniela Weiland, BR)

»Ein Roman, der nicht nur von Deutschen, Russen, Amerikanern erzählt, sondern auch von den Zauberkräften der Sprache, dem Leitmedium zwischen Körper und Seele.« (Meike Fessmann, Süddeutsche Zeitung)

»Tiefgründig, kurzweilig und lustvoll verspielt: Olga Martynovas Roman Mörikes Schlüsselbein knüpft gekonnt an moderne Traditionen an und holt diese in die Gegenwart.« (Jan Wiele, FAZ)

»Temporeich und witzig, voller Wortspiele, poetisch und manchmal zum Schmunzeln.« (Mirjam Steger, Radio Bremen)

»Ein Patchwork-Familien- und Beziehungsroman, ein Roman, der mit globalisierten Lebensverhältnissen ernst macht. Mit Verve, Feinfühligkeit und Ironie erzählt Martynova Schicksale von Menschen, die durch ihre Liebe zum Leben und zur Literatur überzeugen.« (Andreas Trojan, BR Diwan)

»Ein wunderbar ausufernden Familienroman, der scheinbar spielerisch Literatur und Leben verbindet, Russland und Deutschland, Gestriges und Heutiges.« (Karin Grossmann, Sächsische Zeitung)

»Ein belebendes Lesevergnügen! Ein Bewusstseinsstrom neuer Prägung, der sich gekonnt vor der reichen avantgardistischen Tradition der deutschen und russischen Literatur verneigt!« (Pascal Fischer, NDR)

»Kaleidoskopartig, mit trockenem Witz fabuliert Wortkünstlerin Martynova von Schamanen in der Taiga, grün-orangen Decken, auf denen man durch Raum und Zeit reisen kann… ein großartiger Roman.« (Susanne Zobl, NEWS)

»Witzig, dabei klug, leicht und zugleich tiefsinnig, unangestrengt erzählt, aber gleichzeitig meisterhaft komponiert.« (Friederike Gösweiner, Die Presse)

»Mit einer faszinierenden Leichtigkeit, mal in einer lakonischen, mal in einer poetischen Sprache wirbelt Olga Martynova die Begegnungen und Sehnsüchte und Phantasien ihrer Protagonisten durcheinander. Wie schwerelos.« (Inge Obermayer, Nürnberger Zeitung)

»Olga Martynova feiert ein wahres Fest intra- und intertextueller Bezüge.« (Gregor Dotzauer, Tagesspiegel)

»Verhandelt wird nicht weniger als die Liebe und die Literatur, Traum und Wirklichkeit, Kultur und Identität – kurz: das ganze Leben. Man staunt über die Sprachkraft dieser Autorin.« (Kristina Pfoser, Ö1)

»Gehaltvolle geistige Nahrung, die ebenso die grauen Zellen wie die Lachmuskeln auf Trab bringt.« (Barbara Geschwinde, WDR3)

»Der Text folgt keinem traditionellen Erzählen, aber er ist dennoch leicht und wunderbar zu lesen: Wenn man musikalische Schwindelgefühle nicht scheut und sich mittragen lässt vom Überlebensmut einer radikalen Phantasie.« (Angelika Overath, NZZ)

»Olga Martynova ist nicht nur eine kluge Dichterin. Sie ist vor allem eine raffinierte Erzählerin, die in ihrer zweiten Sprache cool und komisch, alltagstauglich, selbstironisch und mit respektlosem Witz den deutschen Roman aus seinem Dornröschenschlaf aufschreckt.« (Beatrix Langner, Deutschlandfunk)

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