Buchcover
Almut Tina Schmidt

In Wirklichkeit

Roman
2008
gebunden , 13 x 21 cm
168 Seiten
ISBN: 9783854207481
€ 19,00
als ebook erhältlich

AUTOREN

Textauszug

Ja, ja, es ist nicht leicht, sagte ich, was so alles von Ihnen verlangt wird; aber das ist nichts als ein Generationenproblem. Sie stehen damit nicht allein, alle jungen Leute fühlen sich überfordert, und zwar zu Recht, denn wie sollen Sie das alles schaffen; auch wenn Sie selbst vielleicht nur im Internet etwas werden wollen, erwartet die Welt von Ihnen trotz immer miserablerer Ausbildung Erfolg im Beruf, in möglichst selbstgeschaffenen Jobs natürlich. Und vermehren sollen Sie sich; zumindest nach den derzeitigen Demographiequoten; aber niemand verspricht Ihnen, dass die immer noch gelten, wenn Sie dasitzen mit Ihren Kindern. Nein, da brauchen Sie sich nicht zu schämen, wenn Sie scheitern; es ist programmiert.
Ich weiß, ich weiß, fiel sie mir ins Wort. Nur bei mir hat bisher alles geklappt.
Sie schüttelte sich. Ich schüttelte mich ebenfalls, was hoffentlich solidarisch wirkte. Sie erinnerte mich an eine meiner Klassenkameradinnen; sie hätte ihre Tochter sein können.
Begreifen Sie, alles ist mir gelungen, sagte sie, alles, die schwierigsten Zulassungsprüfungen, jedes Bewerbungsverfahren habe ich bestanden, jetzt steht mir alles offen, in allen Bereichen; dabei weiß ich längst, dass ich eigentlich scheitern müsste, das gehört zum Leben, menschlich ist das viel wertvoller als diese grauenhafte Perfektion; wie schaff ich es nur, richtig zu scheitern?
Das kommt, tröstete ich sie, je später, desto heftiger.
Das hoffe ich, murmelte sie. Ich brauche doch Erfahrung. Aber was ich bisher versucht habe, es wird alles immer nur besser.
Aber Sie sind doch auf der Flucht, also auf dem richtigen Weg, bemerkte ich.
Nein! rief sie, ich fahre nach Brüssel, ich mache dort ein Praktikum bei der Europäischen Union.
Sie konnte also nicht einmal Au pair werden wie alle anderen auch.
Und dann beginnt die Karriere und alles läuft so weiter, jammerte sie. Und auch privat werde ich mir vor Glück nicht zu helfen wissen. Die Männer rennen mir nach.
Und zu diesem Problem erwarten Sie Auskunft von mir? fragte ich möglichst beiläufig.
Oh, nein, nein, nicht dass Sie mich falsch verstehen; ich habe damit kein Problem – das ist ja eben das Problem. Alles läuft so glatt.
Ich nickte düster. Sie nickte düster.

Eigentlich ist alles ganz anders. Eigentlich ist das hier Fiktion und das dort Wirklichkeit. Eigentlich ist das nur ein Vorwand, denn in Wirklichkeit

Bei diesen bestens bekannten Rede- (und Denk-) Figuren setzt der rasante erste Roman von Almut Tina Schmidt ein: Die Erzählerin fährt (unter einem Vorwand) nach Antwerpen, landet aber vorerst in Köln, dann in Bonn, und begegnet laufend alten Schulkollegen und -freundinnen. Was wir durchaus merkwürdig finden dürfen. Als die Sache dann noch in eine Kindesentführung ausartet und sich herausstellt, dass ihr lang verschollener Freund im Auftrag ihrer Tante Agnes handelt, da kippt die Handlung endgültig ins Groteske um.

Eigentlich ist In Wirklichkeit eine Geschichte über die schwer durchschaubare Beziehung zwischen Kunst und Leben, zwischen O-Ton und Kunstradio; nicht umsonst spielt Almut Tina Schmidt hin und wieder auf Orson Welles an, der in seiner legendären Hörspielfassung von Krieg der Welten bereits souverän die Grenzen von Fiktion und Dokumentation verwischte.

Aber in Wirklichkeit handelt der Roman von Paranoia und falschen Fassaden, von dem Gerede, das uns von der Unterhaltungsindustrie als wahre Form der Authentizität angeboten wird, von den verschiedenen und doch so identischen Jargons, in denen profilneurotisch die Besonderheit und Unverwechselbarkeit jedes Einzelnen behauptet wird. Erfunden, wahr – alles ist gleich grotesk. Aber die Komik dieses Romans hat etwas Beklemmendes: es ist nicht wirklich lustig, den Boden unter den Füßen weggezogen zu bekommen…

Presse

»Wunderbar, satirisch, doppelbödig, mit verblüffenden Wendungen.« (Werner Krause, Kleine Zeitung)

»Es ist eine Wohltat, ihr beim Lesen aus diesem witzigen Roman zuzuhören. Lesenswert.« (europolitan.de)

»Ein großes Thema von In Wirklichkeit ist jenes des Sich-Erfindens, seine Spuren verwischen zu können, um nicht wirklich Ich sein zu müssen, auf ein Ich festgelegt zu sein. (…) Und der Roman, mitunter sehr komisch, entwickelt einen wunderbaren Story-Sog.« (Martina Bauer, Ö1 ex libris)

»Eine heitere und selbstironische Bestandsaufnahme der gesellschaftlichen Verhältnisse. (…) eine aufmerksame Momentaufnahme unserer Gesellschaft.« (Jürgen Wicht, textrakt.de)

»Die Sprache des Romans ist eine wunderbare Folie, vor der die Fantasien verschachtelt und komisch gedeihen können. Lesen Sie diesen Roman – bis zu Ende!« (Ute v. Sichart)

Top