Buchcover
Yorck Kronenberg

Ex voto

Roman
2011
gebunden , 13 x 21 cm
188 Seiten
ISBN: 9783854207788
€ 19,00
als ebook erhältlich

AUTOREN

Textauszug

Der Mond lag tief über den Bergkämmen, gelb, schwer. Es war ihm, als habe er noch nie einen derart großen Mond gesehen, so satt, voll. Das Dorf glühte in fahlem Licht, selbst Grashalme warfen kleine Schatten. Die Tiere schliefen wohl. In der Nähe war eine Ziege aufgesprungen und sprang mit klingender Glocke davon. Noch immer leise auftretend lief der Gefangene über die Wiese. Am Waldrand erst kam er zum Stehen. Wie friedlich das Dorf jetzt aussah, heimatlich. Aus der Entfernung wirkten die Häuser wie Spielzeuge, man hätte sie aufheben und von allen Seiten betrachten mögen. Ihn fröstelte, mit beiden Armen nahm er den Stoff seines Mantels und zerrte ihn um den Körper. Dann rannte er in den Wald hinein.
Westlich und südlich des Dorfes erstrecken sich große Waldgebiete. Unterhalb der Siedlung stehen die Bäume besonders dicht beieinander, rücken aber auch wieder und wieder zur Seite und geben unerwartet Lichtungen frei. Wege gibt es hier keine. Äste knirschten unter seinen Schritten, einmal verfing er sich in einem dornigen Gestrüpp. Ein Glück für ihn – direkt hinter dem Felsklotz, den der Strauch überwucherte, fiel eine steile Schlucht unvermittelt in die Tiefe. Weit unten schlängelte sich ein Bach durch die Spalte.
Schon nach kurzer Zeit hatte er den Eindruck, uneinholbar zu sein: Wie auch hätte man ihn finden können? Aus der Ferne hörte er leise das Tosen eines Wasserfalls, gebrochen und verbreitert durch ein Echo, das, von verschiedenen Richtungen her, das Rauschen reflektierte. Ein Uhu rief, mit ausdrucksloser Stimme. Einmal erschrak er über ein lautes Knacken im Unterholz, direkt neben ihm brachen mehrere Äste, er fuhr herum und sah nur noch schemenhaft, schwarz die Umrisse eines massigen Körpers, Laub raschelte unter den Tritten des Tieres, der Aufruhr stob in die Dunkelheit davon. Ein Hirsch? Ein Bär? Das Herz schlug dem Gefangenen bis zum Hals.

Der Arzt Robert Sieburg wird verschleppt, vielleicht irgendwo im Mittleren Osten, vielleicht irgendwo in Zentralasien. Der Sprache nicht mächtig, der Sitten unkundig und nicht wissend, was ihn erwartet, bewegt er sich mit den Entführern, dem fremden Stamm, Mitgliedern eines unbekannten Ordens, durch die Berge und Hochtäler des Landes. Kontinuierlich soll er seine Erlebnisse und Gedanken schriftlich festhalten, er erfährt: die Aufzeichnungen gelten den Entführern als »Verbindung zu Gott«, durch sie »komme die Wahrheit«. Nur selten hat der Gefangene während der Reise die Möglichkeit, mit seiner Frau zu telefonieren. Seine Ansprachen, von einer Kamera festgehalten, werden, so erfährt er von ihr, im Fernsehen gesendet.

Ex voto entführt den Leser in eine archaische, mythische, apokalyptische Landschaft – und Kronenbergs Kunst, Geheimnis, Bedrohung, aber auch die Magie der Fremde und der Einsamkeit zu evozieren, ist groß! Schnittstelle zwischen Robert und der neuen Welt ist Harry, sein Übersetzer/Dolmetscher, mit dem er ein merkwürdiges Bündnis eingeht. Währenddessen verschwimmen die Grenzen zwischen Wahrheit und Märchen, Wirklichkeit und Bild, Gegenwart und Vergangenheit: Je vertrauter dem Gefangenen das neue Leben wird, umso fremder wird er dem Leser; das Misstrauen, das er gegen sich hegt, zieht weitere Kreise.

Eindrucksvoll entfaltet sich so eine Erzählung, in der der Gefangene, anfangs noch ohnmächtiges ›Werkzeug‹, die Machtverhältnisse umkehrt. Es geht um Kulte und Initiation, um Gewalt und Tod, Glaube und Unglaube, Freiheit und den Verlust des Selbst. Mit Ex voto ist Yorck Kronenberg ein außergewöhnlicher, spannender Roman um politische Mythen von heute gelungen.

Presse

»Der Roman ist von musikalischer Dramatik. In faszinierenden und zugleich bedrohlichen Passagen nimmt der Autor den Leser mit ins Fremde und Ungewisse.« (Michaela Schmitz, Deutschlandfunk)

»Kronenberg spielt in seinem Roman geschickt mit der Angst vor dem Zerfall unserer modernen Gesellschaft. Hier werden also die wirklich großen Themen verhandelt.« (Gerhard Pretting, ORF ex libris)

»Ex voto ist ein oft beklemmendes, ganz und gar eigenwilliges Buch.« (Verena Fischer-Zernin, Hamburger Abendblatt)

»In der exzellent erzählten Darstellung Kronenbergs werden Einsamkeit, Verunsicherung und Angst spürbar, die Athmosphäre des permantenten Geheimnisses unmittelbar.« (Franziska Reif, Kreuzer)

»Yorck Kronenberg gelingt mit Ex voto eine Grenzen sprengende düstere Machtparabel zwischen individueller, bipolarer, sozialer und medialer Realität.« (Roland Steiner, Poetenladen)

»Yorck Kronenbergs Roman greift ein Thema auf, das in der aktuellen politischen Berichterstattung höchste Brisanz hat. Eine literarisch ambitionierte, sehr düstere Etüde über das alte Thema Konfrontation mit dem Fremden.« (Hermann Schlösser, Wiener Zeitung)

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