Buchcover
Andrea Winkler

Arme Närrchen

Selbstgespräche
2006
gebunden , 13 x 21 cm
128 Seiten
ISBN: 9783854207061
€ 16,00

AUTOREN

Textauszug

An den Baum gelehnt – die Hunde sind endlich verstummt –, hört Herr Wolf, ganz gegen seine Gewohnheit, sich selbst sprechen: Bis in die kleinste intime Handlung folge ich dem Gesetz der Potenz. Ich leiste und leiste, was eigentlich. Im allgemeinen bringe ich kaum noch die Worte zu Ende. Ich bin ein Meister der Abbreviaturen, die mich beherrschen: Manu statt Manuskript. Lg statt liebe Grüße usw. Depression ist die Krankheit der anderen, ich hingegen neige zu Bluthochdruck. Durch gezielten Sport gleiche ich allerdings Ungesundes wieder aus. Es kommt vor, dass ich beim Laufen auf dem Gehsteig jemanden anremple. Gespräche unter vier Augen, die nicht dienstlichen Zwecken unterliegen, strengen mich an. Ich habe dann das Gefühl, jemand zerrt an meinen Kleidern, aber nicht, um mich zu verführen. Genau genommen komme ich seit Jahrzehnten in meinen eigenen Handlungen kaum vor. Ich bin ausgezogen, aber wohin. Oder – eine fremde Gewalt …? Ich erinnere mich schlecht. – Herrn Wolf überkommt eine völlig unbekannte Lust am Weitersprechen. Er wiederholt alle Sätze viele Male, variiert sie wie akrobatische Übungen, die den Körper in einen beweglichen und dynamischen Fluss verwandeln. Es riecht plötzlich nach Dachboden und trockenem Holz. Herr Wolf steht auf, er ist jetzt allein auf der Welt. Er stellt sich vor, auf einer Bühne zu stehen und zugleich sein eigener Zuseher zu sein. Er genießt die Wirkung der eigenen Sätze auf sich selbst. Sie ändert sich je nach Intonation und Ausdruck. Herr Wolf flüstert, singt, kreischt und jammert.

Dieses Debüt überrascht auf vielfältige Weise: In ihren Selbstgesprächen wünscht sich die Erzählerin, »alle Worte seien gleich wahr und vertraut«, und spricht damit eine Fremdheit aus, die zwischen ihr und der Welt herrscht, wie sie schon lange nicht mehr so heiter-melancholisch zu lesen war.

In einer Sprache, deren Poesie und Originalität man sehr schnell erliegt, werden wieder die zentralen Erfahrungen der Moderne formuliert – nur das Licht, der Blickwinkel haben sich geändert; das Vertrauen auf Unmissverständlichkeit und Tragfähigkeit des Erzählens ist ganz abhanden gekommen. »Wie viel Ich braucht die Sprache eines Menschen«, fragt der Text einmal, und »Ich komme in meinen eigenen Handlungen kaum vor.«

Kein Wunder, dass eine leichte Melancholie diese Seiten durchzieht, eine Nachdenklichkeit, die zielstrebiges Handeln fast unmöglich macht. Diese jungen Großstadtmänner und -frauen verstehen ihr »Hiersein als eine Übung des Abschieds«, und unter dieser Voraussetzung werden ihre Spiele und Unternehmungen sehr unsicher. Wie viel Erfahrung lässt sich in einem Leben, das sich so schwer in Worte fassen lässt, schon machen, wie können wir einander verstehen (die Bachmann’sche Sehnsucht nach den wahren Worten klingt hier an, auch der Rückzug Aichingers auf die »schlechten Wörter«), und außerdem: »Als ob es im Leben nichts anderes als Zukunft gäbe!«

Presse

»Ich kenne wenige Texte aus der Gegenwart, in denen romantische Prinzipien so nachhaltig wirken, wie in diesen Selbstgesprächen; hier etabliert sich ein autonomes poetisches Subjekt (…)« (Wendelin Schmidt-Dengler, Bücher Pick)

»Man könnte endlos daraus zitieren, denn Andrea Winkler findet unablässig neue poetische Wendungen dafür. (…) eine hochtalentierte junge Autorin.« (Marion Löhndorf, NZZ)

»So poetisch ist in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur schon lange nicht mehr dekonstruiert worden, so kompromisslos hat sich schon lange niemand mehr aufs Glatteis der Sprache gewagt. « (Josef Bichler, Der Standard)

»Sätze wie Schnitte sezieren scharf und präzise das eigene Ich.« (Doris Plöschberger, Tages-Anzeiger)

»Von Winklers Sprache, ihrer Musikalität und Assoziationskraft, lässt man sich gerne an die Hand nehmen und in labyrinthische Spiegelkabinette entführen, bis sich einem der Boden unter den Füßen wellt.« (Sigrid Meßner, Rhein-Neckar-Zeitung)

»Gerade die Refelexion über das sich nahezu immer wiederholende Entgleiten der Welt und des Erzählbaren zeigt den stark philosophischen Duktus, der diese Prosa bestimmt.« (Maria Renhadt, Die Furche)

»Andrea Winkler hat ein feines Gespür für die Unebenheiten dieser Welt und findet dafür die richtigen Worte. Ein starkes Debüt.« (Zita Bereuter, FM4)

»Ein Buch, das still und leise, wunderschön und wütend vom Leben im Hier und Jetzt berichtet.« (Ewald Schreiber, City)

»Überraschend, überzeugend, grandios (…) Das Buch ist unglaublich genau gearbeitet, jeder Satz sitzt, jedes Wort hat seinen exakt vermessenen Raum, seine ureigene Berechtigung.« (Manfred Müller, Kolik)

 

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