Buchcover
Thomas Stangl

Was kommt

Roman
2009
gebunden , 13 x 21 cm
184 Seiten
ISBN: 9783854207528
€ 19,00
als ebook erhältlich

AUTOREN

Textauszug

Er ist immer froh, wenn die Schule vorbei ist und er nach Hause gehen kann, manchmal starrt er jetzt den Passanten in die Augen, jungen Frauen, die ihren Blick gleich abwenden und die er niemals wiedererkennen würde, manchmal schaut er nach oben und sieht die grauen und grünen Drähte und Kabel der Oberleitungen, ein Gespinst, das über der Stadt liegt, das man abnehmen könnte, um die Form anstelle der Stadt zu haben, noch weiter darüber ist der Himmel wieder meistens grau; er ist froh, dass ihn seine Großmutter erwartet, eine Decke über seinem Kopf, eine Tür, die er verschließen kann. Wenn fast alles von einem Menschen weggeschnitten ist (alles, was er von sich selbst weiß) und nur der Kern aus Zärtlichkeit und Angst, nur die leichte Körperwärme zurückgeblieben sind, kann er die Verbindung aufnehmen, wie zu einem anderen Gegenstand, er kann den Herzschlag stützen, steuern, kann in die vagen fremden Träume hinein mit plötzlich klarer und lauter Stimme sprechen. So kann er auch ins Innere seiner Großmutter blicken, wenn sie stillhält und nichts sagt; er schlüpft aus seinem Körper durch die Wand hindurch ins Nebenzimmer und sagt, hör nicht auf zu atmen, leb weiter, leb weiter. Er wiederholt diese Sätze, bis er ihre Bedeutung vergessen hat, bis sie so automatisch wie Atemzüge und Herzschläge immer weiterlaufen; er weiß nicht mehr, ob das Ding in seinem Bett, das er selbst ist, schläft oder wacht. Er liegt an den Nachmittagen auf seinem Bett und liest, jeden Tag ein neues Buch, hört aus der Küche das Wunschkonzert von Radio Burgenland, übertönt es manchmal aus seinem eigenen Radio mit der Ö3-Musicbox, Walk in Silence, singt ein Mann mit dumpfer Stimme, der sich eben erhängt hat, abends hört er Harte Währung, Pop für Fans, leise gedreht, um die Nachbarn nicht zu verschrecken, ein leiser Lärm, der ihm den Kopf zerschmettert, so kann es für alle Zeit weitergehen.

Von den zahllosen Lebenden und Toten, die Wien bevölkern, hebt Thomas Stangl in seinem dritten Roman zwei Personen heraus: Emilia, 17, die wir im Sommer 1937 kennenlernen, am Vorabend der historischen Katastrophe, und Andreas, den Pubertierenden, der vierzig Jahre später, Ende der 70er Jahre, wie Emilia allein mit seiner Großmutter lebt und ebenfalls in eine private? politische? Katastrophe gerät.

Geschichte ist nicht nur das, was sich schon ereignet hat, »Geschichte heißt, das kommt erst«, schreibt Thomas Stangl. Für seinen Roman bedeutet das, dass sich verborgene Motive, kaum merkliche Anklänge, Wiederholungen, Blicke, ja auch Menschen quer durch das Buch und die Zeiten ziehen, das Wiedergänger-Motiv, Elemente der Gespenstergeschichte spielen schon in Ihre Musik eine gewisse Rolle (wie wir auch Emilia Degen schon aus diesem Roman kennen, als die ältere der beiden Frauen).

In überwältigenden, auch schockierenden Bildern hält Stangl das fest, was sich der Beschreibung – zumindest in der gegenwärtigen Literatur – entzieht und wofür wir höchstens den Film als zuständig erachten: er schafft Räume des Übergangs, der Unschärfen, der Ahnungen und Déjà-vus, Räume für die Lebenden und die Toten, die Geschichte und ihre Opfer, Sterben und Verschwinden, Wirklichkeit und Traum. Thomas Stangls Sätze sind ein Rausch der Wahrnehmung, der die Grenzen zwischen Innen und Außen auflöst und eine befreiende Wirkung hat wie wenige Bücher, ein barock-romantisches Meisterwerk.

Presse

»Stangl öffnet uns Wahrnehmungstüren. Er arbeitet an der Wiedererschreibung der verlorenen Zeit. Das ist eine Literatur, in der ich mich sehr frei fühle.« (Iris Radisch in ihrer Laudatio zum Telekom-Austria-Preis für einen Auszug aus Was kommt)

»An der Wasserscheide des Erzählens: ein grandioser Roman.« (Florian Kessler, Süddeutsche Zeitung)

»Atemlos vorgetragen und in seitenlangen Sprachblöcken reißt dieses Buch den Leser in das Geschehen hinein.« (Gisela von Wysocki, Die Zeit)

»Ein großes komplexes Kunstwerk.« (Cornelia Niedermeier, Der Standard)

»Ein grandioser Roman. In Thomas Stangl hat die österreichische Literatur einen Nachfolger Musils und Thomas Bernhards gefunden.« (Sibylle Cramer, Frankfurter Rundschau)

»In virtuos verschlungenen, konsequent im Präsens und Futur gehaltenen Sätzen erzählt Stangl zwei Lebenssschiksale in verschiedenen und doch im Detail verblüffend ähnlichen Epochen.« (Oliver Pfohlmann, FAZ)

»Stangl schreibt sich und uns tief hinein in den Kosmos von Mensch, Zeit und Geschichte. Worte, Sätze, Szenen, die einen durchdringen, nicht mehr loslassen.« (Gabriele von Arnim, Deutschlandradio)

»Virtuos spielt Stangl in seinem neuen Roman mit Motiven romantischer Wiedergänger- und Gespenstermotive.« (Günter Kaindlstorfer, NDR)

»Wie aus dem Strom der Zeit gehoben ist diese Literatur. Ein grandioser Roman, der in eindringlichen Bildern von archaischer Gewalt von der jungen Emilia erzählt.« (Paul Jandl, NZZ)

»Gegenwärtig einer der besten, weil feinsten und ernsthaftesten Autoren im deutschsprachigen Raum« (Katja Gasser, ORF Fernsehen)

»Thomas Stangls neuer Roman verunsichert, fasziniert und wirkt lange nach. Mehr kann man von Literatur nicht verlangen. « (Georg Renöckl, Ö 1)

»Virtuos vermischt und verschiebt Thomas Stangl unterschiedliche Realitäten, bis zu ihrem Verschwinden und Wiedererscheinen in einer anderen, neuen Realität.« (Olga Martynova, Tagesspiegel)

»Ein literarischer Urknall. Zeit und Raum fliegen dem Leser um die Ohren. Ganz große Literatur.« (Werner Krause, Kleine Zeitung)

»Thomas Stangl hat einen ungemein beglückenden Roman als Netz aus Licht, Beziehungen und Geschichte verfasst. Eine Literatur, die mehr will als erzählen, eine Literatur, die bleibt.« (Roland Steiner, poetenladen.de)

»Was kommt wird bleiben.« (Wolfgang Huber-Lang, apa)

»In kostbarer Eindringlichkeit begreift dieser Autor die Vergangenheit als Gleichzeitigkeit von Biografien, als wirklich werdende Erinnerung.« (Katrin Schuster, Berliner Zeitung)

Longlist Deutscher Buchpreis 2009
manuskripte-Preis 2009
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alpha-Literaturpreis 2010
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