Buchcover
Stephan Groetzner

Tote Russen

2015
gebunden , 13 x 21 cm
176 Seiten
ISBN: 9783854209591
€ 19,00

AUTOREN

Textauszug

Kindheitserinnerung

Mit einem kleinen Messer entfernte mein Vater sorgfältig die Schale von der gekochten Kartoffel. Er legte die Kartoffel auf seinen Teller und die Schalen auf meinen Teller.
Hier, sagte er, die Schale ist das Beste. Da sind die ganzen Vitamine drin.
Mein Vater zerschnitt die Kartoffel auf seinem Teller sorgfältig in kleine Würfel. Dann spießte er einen der Würfel auf die Messerspitze, schob ihn in den Mund und kaute. Schluckte und sprach: Da fehlt eine Kleinigkeit. Was könnte das wohl sein?
Vitamine, vermutete ich.
Quatsch, sagte mein Vater: Reich mir mal das Salz rüber.
Was ist mit der anderen Kartoffel? fragte ich.
Welche andere, fragte mein Vater zurück.
Die in dem Topf.
Ach die, sagte mein Vater: Die teilen wir uns morgen.

Ob Tschechows Bratwurst oder Stalins Größe, Tolstois Kindergeschichten oder Puschkins pornografische Gedichte: das akkurat recherchierte Detail und die absurde Erfindung sind sich zum Verwechseln ähnlich.

Abgebrochene Bleistifte, Butterbrote und Cocktailkäfer: Kleinigkeiten, die sich zu Nachbarschaftsstreitigkeiten auswachsen und nicht selten in Mord und Totschlag enden. Das Pascal‘sche Zuhausebleiben als Königsweg zur Vermeidung von Unglück ist zum Scheitern verurteilt. Groetzner empfiehlt: Waldspaziergänge, Gewalt als Konfliktlösungsmodell und Drogen aller Art.

»Traumlogisch, kunstvoll und assoziativ nutzt der Autor das gnadenlose Tempo der Märchen – und auch der russischen Avantgarde –, um uns in eine alte Welt zu entführen«, urteilte die Jury des Wartholz-Literaturpreises, bei dem Groetzner neben dem Hauptpreis auch den Publikumspreis erhielt.

Presse

»Groetzner fabuliert fantastisch humorvoll an der Wirklichkeit vorbei und trifft den Nagel der Realität dabei trotzdem auf den Kopf.« (Christoph Hartner, Kronenzeitung)

»Sehr witzig, voller Anspielungen zu Kultur und Geschichte, aberwitzig und haarsträubend, vorhersehbar nie.« (Anton Thuswaldner, Die Furche)

»Im Sinne der russischen Avantgarde kippen die Texte aus den Angeln der Gattungen, die Fußnote ist vielleicht bedeutender als der Haupttext, das Gedicht erweist sich als Roman, Autor und Held werden vertauscht wie etwa bei den Brüdern Dostojewskis. Und in diesem scheinbaren Chaos von Frequenzen werden die wahren Botschaften gesendet.« (Helmuth Schönauer, Biblio)

»Die Toten Russen geben sich hier in abenteuerlichen Kombinationen ein Stelldichein. Unwichtiges wird wichtig, Anekdoten zu großen Geschichten, Kleinigkeiten zu Katastrophen. So überschaubar und kurz die Texte sind, so aberwitzig, chaotisch und absurd-durcheinander sind sie auch in ihrer verrückten Mischung. Das ist ziemlich komisch und kurzweilig zu lesen.« (Dagmar Härter, ekz)

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