Buchcover
Bernhard Strobel

Nichts, nichts

Erzählungen
2010
gebunden , 13 x 21 cm
128 Seiten
ISBN: 9783854207665
€ 18,00
als ebook erhältlich

AUTOREN

Textauszug

Es war weit nach zehn Uhr. Ich pflege in der Regel nicht später als acht, meistens halb acht aus dem Bett zu steigen, und nun stand ich vor dem Fenster meiner kleinen Küche und blickte verdrossen hinunter zum Eingang des Klinikcafés: Es ist zu spät, dachte ich, um diese Zeit kriegst du bestimmt keinen anständigen Platz. Und richtig, als ich nach einer Viertelstunde eintraf, waren alle Tische besetzt. Ich war enttäucht, und obgleich es mich nicht unvorbereitet traf, fühlte ich eine bittere Unruhe in mir aufkommen. Mein Plan für diesen Tag war dabei, sich in Luft aufzulösen; das machte mich nervös, ich hatte nur diesen.
Nach kurzer Zeit schaffte ich es jedoch, mich zu beruhigen, und während ich zum Ausgang schlenderte, überraschte mich eine Stimme, die sagte:
»Wenn du möchtest, kannst du dich zu mir setzen.«
Es war Andrea, die beste Freundin meiner vor langer Zeit verstorbenen Frau. Ich war irritiert. Sie deutete auf den Platz ihr gegenüber. Ich zögerte, es war kein guter Tisch, er stand mitten im Raum, und ich lasse nur ungern fremde Blicke in meinem Rücken zu. Schließlich setzte ich mich. Sie war mir schon früher aufgefallen, ihr rechtes Bein war steif und verlangte nach einer Krücke, ich hatte es beobachtet, als sie das Lokal verließ, es mochte keine Woche her gewesen sein. Sie hatte jetzt rotes Haar, und ihre gesamte Erscheinung hatte sich stark gewandelt. Oder die Erinnerung trügt mich, das soll ja vorkommen.

Keine Wohlfühlliteratur und kein Lifestyle, nicht die mit geschickter Glätte komponierten und dem gehobenen Entertainment verpflichteten Sätze der Literaturinstitute, sondern Rauheit und Verzicht auf Eleganz, und dazu die karge Welt der Verlierer: ältere Mütter, die sich im Internet prostituieren, Aussteiger, die sich in Waldhütten weitab von Dörfern und Städten einnisten und dort mit politischen Flüchtlingen konfrontiert werden, Alzheimer-Kranke. Strobel bedient aber nicht unseren voyeuristischen Blick auf das Elend und arrangiert es nicht zu schaurig-schönen Szenarien, sondern wendet sich dem sprachlosen Umfeld dieser ›Helden‹ zu. Hier herrschen Kommunikationslosigkeit und ungerichtete, dumpfe Wut. Mit knappen, kargen Mitteln und äußerst zielsicher schildert Strobel eine Welt, die nur mehr mühsam ihre Fassade wahrt – jeden Moment kann alles unter der ausbrechenden Aggressivität implodieren.

Und doch: So wie es in einer Geschichte heißt, »Sie kannte mich gut genug, um zu wissen, dass mir dann und wann der rote Faden des Alltags abhanden kam«, so heben sich diese Erzählungen alle an irgendeiner Stelle vom planen Abbildrealismus ab und ein grotesker Witz kommt zum Vorschein, eine nahezu surrealistische Überbelichtung der Szenerie, ein manchmal grausamer Humor.

Presse

»Die vielleicht verblüffendste Leistung des erst 28jährigen Bernhard Strobel könnte man auch Reife nennen. Sie ist gepaart mit einer aufwandlosen Sprache, einer undramatischen Dramaturgie und einer bitter-zarten Ironie.« (Samuel Moser, NZZ)

»Starke Erzählungen, mit denen Strobel seine Protagonisten mitten in ihrem Wesen trifft und fast beiläufig auch einen scharfen Blick auf die Gegenwart wirft.« (Barbara Eisenmann, SWR2)

»Der Erzählband beschönt nichts und ist genau deswegen gut.« (Die Wienerin)

»Er ist der neue Meister der Zurückhaltung.« (Anton Thuswaldner, literatur + kritik)

»Diese Prosa hat eine Qualität, die vielen ach so selbstbewusst dahererzählenden zeitgenössischen jungen Schriftsteller und Schriftstellerinnen fehlt: sie ist ehrlich, an keiner Stelle effekthascherisch.« (Martin Grzimek, Deutschlandfunk)

»Jede noch so kleine Geschichte birgt Wut neben Komik, Verdruss neben Rührung. Geballte Menschlichkeit. Ganz erstaunlich.« (Caro Wiesauer, Kurier)

»Die Wahrung brüchiger Fassaden ist Strobels Metier, darin beweist er große literarische Qualität (…) Dieser Autor ist eine hellwacher Seismograf. Sein großes Buch der kleinen Beben belegt dies.« (Werner Krause, Kleine Zeitung)

»Bernhard Strobel erzählt grandios von Dingen, die sich in der Literatur kaum jemand in den Mund zu nehmen getraut.« (Helmuth Schönauer, ÖGL)

»Unspektakulär treten diese Erzählungen auf, und doch zählt jedes Wort. Hier wächst eine stille Opposition zum erzählerischen Mainstream heran, die bald schon mehr Zulauf bekommen könnte.« (Sebastian Fasthuber, Falter)

»Strobel zeigt uns menschliche Katastrophen als Stillleben, die in ihrer Kargheit große Geheimnisse bergen.« (Andrea Kachelriess, Stuttgarter Nachrichten)

»Ein straighter, schnörkelloser Stil, der die melancholische Phlegmatik seiner Protagonisten auf suggestive Weise einfängt.« (Günter Kaindlstorfer, SWR)

»Strobel will nicht erklären, er will zeigen. Das macht seine Erzählungen zu Sprachkunstwerken mit einem sehr eigenen, eigenwilligen Klang, der lange nachhallt.« (sprache.de)

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