Buchcover
Ingeborg Horn

Logbücher einer Meerjungfrau

Von den elementaren Grundlagen der Menschwerdung
2002
gebunden in Schuber , 13 x 21 cm
328 Seiten
ISBN: 9783854205913
€ 150,00

AUTOREN

Textauszug

Geduld, gehemmte Kraft: zornig werfe ich dein Orakel.
Die Gräber liegen wieder unter der weißen gemeinsamen Decke.
Ganz dick gelb sind die Meisen vor Kälte.
Mein Kopf denkt und sucht Wege. Ich helfe ihm vielleicht zu wenig.
Die Welt ist so schwer von Worten.
Erquickender Duft von Blumen.
Kleine wissende Klagelaute dringen aus meiner Kehle.
Der See liegt wieder grün da, in schneeweiße Ufer gebettet.
Ich sehe hindurch und hinunter durch mein schwimmendes Bild.
Die Geduld wächst im Lauf der Erzählung.
Ich lobe den Tag vor dem Abend; den Abend vor Einbruch der Nacht; die Nacht vor Anbruch des Tages.
Die Luft ist erfüllt von Gesängen.
Der Schnee zieht sich zurück. Zum Vorschein kommen Verwüstungen.
Gefunkel im Wald, wo der Horizont tief unten zwischen den Bäumen durchblitzt.
Wolkenschollen, zu Streifen geeggt. Sanfte rauchgraue Linien.
Spröde Stimmbänder können manchmal rühren wie schütteres Haar. Und plötzlich sitzt ein Reptil da, ungeniert mit stechenden Augen sich auf den Bauch schlagend.
Die Menschen haben mich stumm gemacht, weil ich mit ihnen gesprochen habe.
Ein Garten voll Schnee.
Schwer und leicht zu lesen, als Klang und Gegenwart und Rätsel.
Sind die Menschenrechte gesichert? Geht es vergleichsweise nur noch um Luxusartikel?

10 Exemplare, in einem schwarzen Schuber zusammen mit einem Diptychon mit Autograf, signiert und numeriert.

Logbücher einer Meerjungfrau ist ein außergewöhnliches Buch, ein unerwartetes Buch. In ihm erscheint (in radikaler poetischer Form) eine Figur wieder, deren Schicksal seit Andersens berühmtem Märchen tiefgründige Stummheit ist – stumm vor Entsetzen, stumm vor Liebe (Novalis: »Die Liebe ist stumm, nur die Poesie kann für sie sprechen.«).

Das fremde, aus Liebe in der Menschenwelt lebende Wesen ist bei Ingeborg Horn die Protagonistin eines scheinbar fragmentarischen Textes, eines weitverzweigten Romans, eines Epos, lesbar gemacht nicht durch einen Handlungsfaden, sondern durch staunendes Aufmerksamsein. Eine Aufmerksamkeit, die auch Undine unter Beweis stellt, wenn sie, eingebettet ins Kommen und Gehen der Tage und Nächte, der Jahre und Jahrzehnte, die Landschaft, in der sie lebt, zu Wort kommen lässt, sie von der üblichen Funktion des Hintergrunds befreit und zur Sprecherin macht. »Die Geduld wächst im Lauf der Erzählung«, heißt es einmal, auf die elementare Geduld Undines anspielend, die Geduld des Wassers, das immer auf Entdeckungsreise ins Unbekannte ist. Die Logbücher dokumentieren diese Reise, diesen Prozess, der auf Sprachwerdung, auf Menschwerdung hinzielt.

In der zögernden Sorgfalt dieser Aufzeichnungen kommt eine grundsätzlich andere Haltung zu unserer Lebenswelt zum Ausdruck, eine prinzipielle Kritik an unseren üblichen Antworten auf die Frage »Was ist der Mensch?«; und doch sagen sie auch: Liebesmühe ist nicht vergeblich.

Presse

»Ein Prosageflecht, das zuallererst durch Schönheit besticht, durch eine ganz eigene Ästhetik. Ruhig, indes von starken Rhythmen regiert, berühren diese Zeilen beinahe die Lyrik und sind deshalb für Überraschungen gut (…) Wir lesen ein fasznierendes Debüt«. (Esther Röhr, mare)

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