Buchcover

disaster awareness fair

zum katastrophischen in stadt, land und film
2006
kartoniert , 11,5 x 18 cm
56 Seiten
ESSAY 57
ISBN: 9783854207115
€ 9,50

AUTOREN

Textauszug

das verhältnis zum öffentlichen raum wird bestimmt von einer militärischen logik, die von der privatwirtschaftlichen nicht mehr zu trennen ist, mit ihr immer schon zusammengeht. eben jene neue verbindung zwischen freiheitsversprechen, das auf marktfreiheit abzielt, und sicherheitsdispositiv, das als sicherheitsregime auftritt. und vielleicht, weil diese militärische logik den ausnahmezustand braucht, sich immer auf ihn bezieht, in ihm erst ihren ausdruck findet, sich von ihm nährt, könnte man manchmal den eindruck gewinnen, die katastrophe habe schon stattgefunden. und so ist es auch. sie findet ständig statt. das ist etwas, das merkwürdigerweise unserer präventivrede und antizipationswut zu entgehen scheint, etwas, das wir in unserem blick bei aller erfassungsgier nach vorne nicht mehr sehen.
doch als würde sie dieser überwachungsphantasie hohn sprechen, steht die erdölförderungsanlage in der nähe des internationalen flughafens von los angeles tatsächlich offen. man kann mit dem auto auf die baldwin hills hinauffahren, hinauf zu dem künstlichen plateau, auf dem sich tanks, erdölpumpen, kräne befinden, versehen mit leicht zugewachsenen schildern, dass man hier bitte nicht rauchen soll. und befindet man sich mit einem anderen menschen gemeinsam dort, wird sich vielleicht ein dialog entspinnen, dass dieser ort perfekt wäre für einen anschlag und die stadtverwaltung und die regierung auch gar nichts im griff hätten, von wegen »homeland security«. vielleicht wird man aber einfach auf die sich bietende stadtoberfläche blicken. hinweg über wilden heimischen salbei, europäische schneckenhäuser, vertrocknete kalifornische yucca-blüten, argentinische palmen und australischen eukalyptus, also durch die unterschiedlichen migrationsschichten der hier ansässigen natur – die immer eine hybride ist – auf die unterschiedlichen stadtteile dieser agglomeration in richtung meer, das einige kilometer gen westen liegt.
und vielleicht fällt einem genau in diesem moment auf, wie merkwürdig der versuch, über »die stadt« zu sprechen, ist, jene seltsame fiktion, die es in wirklichkeit gar nicht gibt, wie er ihr immer gewalt antut.

Dass Film und Massenmedien enge Berührungen mit Katastrophenfantasien haben, ist keineswegs neu und doch, spätestens mit dem Datum 11. September, höchst fragwürdig geworden. Katastrophenfilme inszenieren im Allgemeinen den Untergang der Städte, nicht des Landlebens, nicht der Natur – vielleicht weil unsere realen Stadtlandschaften ohnehin schon gezeichnet sind von diversen Desastern; apokalyptische Filme ließen sich, meint Kathrin Röggla, leicht ohne special effects und Studiotricks an bestimmten Stadtrandlandschaften drehen; die zivilisatorische Decke ist dünn, wenn der gesellschaftliche Zusammenhang aufbricht.

»es ist so. mich faszinieren katastrophen«, beginnt Kathrin Röggla den Essay »Geisterstädte«, in dem sie den Verschränkungen von sozialen Landschaften und urbanem Raum nachgeht: »die stadt scheint heute mehr als zusammenhang von ausschluss-systemen beschreibbar und erlebbar zu sein denn als zusammenhang des sozial heterogenen, wie traditionell gerne beschworen wird.«

Im zweiten Essay des Bandes, »die rückkehr der körperfresser«, verfolgt die Autorin ihre Gedanken über die Beziehungen von Katastrophenlust, Gesellschaftskatastrophen und deren filmischen Reflexen weiter, sie liest nach bei William Burroughs und Susan Sontag und weiß: »von diesem film kommen wir nicht mehr runter«, d. h., »wir müssen die katastrophengrammatik lernen. weil sie sowieso gesprochen wird, weil sie unser täglich brot ist.«

Presse

»Röggla ist eine Autorin, die gründlich nachdenkt über die Gesellschaft, in der sie sich bewegt und mit der sie sich literarisch auseinandersetzt.« (Evelyne Polt-Heinzl, Die Presse)

»Viel Denkstoff.« (Tagblatt)

»Es geht ums Ganze: um die Lust am Schrecklichen, die anthropologische, archetypische oder gar mythologisch unausrottbare Frage nach der Faszination des Negativen.« (Kölnmagazin)

»Röggla, eine der herausragenden Autorinnen ihrer Generation, verfolgt gewandt wie analytisch bestechend, katastrophische Ausprägungen in Stadt, Land und Film.« (Wolfgang Paterno, profil)

 

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