Buchcover
Yisang

Betriebsferien und andere Umstände

Erzählungen
2014
gebunden , 13 x 21 cm
224 Seiten
Mit Fotos, einer Zeittafel, Anmerkungen und einem Nachwort von Hanju Yang.
Aus dem Koreanischen von Hanju Yang, Heiner Feldhoff, Gerda Kneifel.
ISBN: 9783854209515
€ 23,00

AUTOREN

Textauszug

Am Abend unternahmen sie Streifzüge durch die Nachtbars, die zum Beispiel Sikisima hießen und meist wie große Konservendosen aussahen. Danach, ohnehin geschwächt, konnte er sich kaum noch auf den Beinen halten. Der erstaunliche O. wurde dagegen allmorgendlich pünktlich um sechs von seiner inneren Uhr geweckt und ließ seine feurigen Augen rollen. Dann eilte er ins Büro in der Hafenstraße, wo sich schon bald seine Wangen röteten, stets blieb er dort bis neun Uhr abends. Offenbar stand der Nimmermüde mit höheren Sphären in Verbindung, die ihm übermenschliche Kräfte verliehen. O.s Vater vertrieb sich tagsüber die Zeit mit Saitenspiel, dem Zupfen auf der Kayagŭm, was sein verdüstertes Gemüt ein wenig aufhellte. Einige Male nahm er einen Anruf seines guten Sohnes entgegen und machte sich dann zufrieden Notizen in einem Taschenkalender. Mitunter, wenn man die Zimmertür aufschob, war in der Ferne die vorbeieilende Eisenbahn auf der Kyŏngsŏng-Inch’ŏn-Strecke* zu sehen. Er schlüpfte in O.s Pelzmantel, schlenderte bis zur Insel Wŏlmido und machte es sich auf einer Wiese gemütlich, indem er sich zwischen den blühenden Bäumen der Länge nach hinstreckte. Alsbald fiel er in Grübelei und Selbstmitleid, denn der Frühling war gekommen, aber die Krankheit noch immer nicht von ihm genommen. Fernab gewahrte er das Wattenmeer, das ewige Wechselspiel von Ebbe und Flut, allmählich brach die Dämmerung herein. So verging Tag für Tag. Um vier Uhr erschien ein pfeifender O. und gesellte sich zu ihm auf die immer gleiche Wiese. In einem Zeltlokal bestellten sie beide Tee und lauschten den Klängen aus einem Kofferradio, das im Wind hin und her schaukelte. Mitunter Hirsche in Sichtweite. Später flanierten sie über den weitläufigen Deich, kauften sich irgendwo ein Eis und schauten Fischern zu, die an den flachen Austernbänken ihre Austern einsammelten. Zeitungslektüre und Abendessen zu Hause bei O. beendeten in friedlicher Stimmung den Tag. Auf jener Maiwiese gelang es ihm schließlich, die Paettaragi, die Abschiedslieder der Fischer, mitzusummen. Sein Plan, den er seit langem tief im Herzen trug, löste sich auf, Schicht für Schicht schälte sich ab und schwamm im Meer davon. Unendlich müde und voller Selbstzweifel kehrte er von Inch’ŏn zurück. Doch er fand seine Wohnung leer, seine Frau war verschwunden, ohne eine Spur zu hinterlassen.

Überraschende Einblicke in die Moderne Ostasiens.

Yisang, der als bedeutendster Schriftsteller des frühen 20. Jahrhunderts in Korea gilt und Namensgeber des wichtigsten koreanischen Literaturpreises ist, enthüllt in seinen Erzählungen seine eigenen, damals als skandalös empfundenen Lebensumstände, seine von Eifersucht und nüchterner Analyse bestimmte Abhängigkeit von einer Prostituierten. Erotik und Lebensmüdigkeit sind die großen Motive im Werk des frühverstorbenen Autors, und diese Themenkomplexe sind eingebettet in die spezielle Erfahrung eines Landes, das unter kolonialer Besatzung steht und dessen Gesellschaft zugleich den entscheidenden Wandel in die Moderne durchmacht. Die dadurch ausgelösten Leidenschaften, die Brüche, Unsicherheiten und neuen Freiheiten spürt Yisang mit seismographischer Empfindsamkeit in seinen Figuren auf, die zwischen ihrem Begehren und den ökonomischen Bedingungen nach ihrer Identität suchen. Die Bezugspunkte Yisangs sind Japan und die westliche Moderne, und das trifft im Besonderen auf seine stilistischen Techniken zu.

Yisangs Erzählungen zu lesen, heißt nicht nur, ein kaum bekanntes Land kennenzulernen (Korea um 1930), sondern von faszinierenden, intelligenten Texten über das Privatleben ostasiatischer Großstadtbewohner gefangen genommen zu werden.

Presse

»Dieser Yisang mit seinem surrealen Sarkasmus und der unheimlich gegenwärtigen Ironie im Umgang mit der eigenen Ich-Rolle ist eine wirkliche Entdeckung.« (Mark Siemons, FAZ)

»Das wunderbare Sittenbild eines Koreas zwischen Kolonisation und Moderne, Individuum und Masse. Schlicht Weltliteratur von allerhöchstem Rang.« (Christoph Hartner, Kronenzeitung)

»Fantastisch … der 1937 verstorbene Autor Yisang gilt als einer der interessantesten koreanischen Autoren des 20. Jahrhunderts. Der nun veröffentlichte Erzählband des Dandys zeigt Koreas rasanten Übergang in die Moderne.« (Katharina Borchardt, Deutschlandradio)

»Der bedeutendste und radikalste Dichter der koreanischen Moderne« (Mathias Schnitzler, Berliner Zeitung)

»Yisang findet eine nie gehörte Sprache für Koreas weitreichende Verunsicherung unter der Kolonialmacht Japan und den Zwängen der hastigen, brachialen Modernisierung.« (Esther Röhr, Literaturnachrichten Afrika Asien Lateinamerika)

»Yisang, der Avantgardist, der blutjunge Literaturstar vor achtzig Jahren, ist endlich auf Deutsch zu entdecken!« (Cornelia Zetzsche)

»Yisang schreibt in einer federnden, herrlich nonchalanten Prosa, um den Gemütszustand des zögernden, vom Witz gebrochenen Zweifelns an der eigenen Haltung zur Welt einzufangen, durchaus vergleichbar mit Robert Walser usw., wenn auch bedeutend!cooler.« (Samuel Meister, Fixpoetry)

Top